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Zehntscheuer ist an die 450 Jahre alt
Bericht im Gäuboten Herrenberg am 6.10.2015
Donnerstag, 8. Oktober2015 – Lokales Gäubote 2015-10-06
Zehntscheuer ist an die 450 Jahre alt
Reusten: Mit dem Richtfest ist ein weiterer Schritt Richtung Kultur- und Veranstaltungsscheuer gemacht.
Die Spatzen pfeifen es seit geraumer Zeit vom Dach: Die Reustener Zehntscheuer hat mehr Jahre auf dem Buckel als vormals angenommen – jetzt ist es amtlich. Eine sogenannte dendrochronologische Untersuchung des Holzgebälks im Dach der Scheuer förderte das wahre Alter der betagten „Dame” zutage. So fügte sich beim Richtfest ein weiteres historisches Puzzleteil zu den anderen hinzu.
Von Rüdiger Schwarz
Ohne Moos nix los, „hirnen” lohnt sich. Nachdem die Führungsriege des 2013 ins Leben gerufenen Fördervereins der Reustener Zehntscheuer ein Konzept auf die Beine stellte, lässt sich der Ammerbucher Gemeinderat nicht lange bitten. Er stellt für Instandsetzung und Sanierung des imposanten Gebäudes 200 000 Euro in den Haushalt ein. Im März dieses Jahres knallt bei den Mitgliedern des Vereins vermutlich nicht nur ein Sektkorken. Weitere Fördergelder füllen den Topf. Das Land zeigt sich in Spendierlaune, lässt für das Projekt noch einmal rund 105 000 Euro springen. Eine Finanzspritze aus dem Förderprogramm „Entwicklung ländlicher Raum”. Also frisch ans Werk gemacht.
Erst einmal heißt es: Däumchendrehen. Warten auf die Baugenehmigung. Anfang August ist es dann so weit, es kann aufgerüstet werden. Im Visier: das Dach, morsche Balken, ein maroder Flickenteppich aus nicht mehr ganz taufrischen Ziegeln. Unverhofft kommt oft: Auf einmal hält man einen historischen Schatz in Händen. Denn nicht wenige der Dachziegel stammen mit allergrößter Wahrscheinlichkeit aus der Entstehungszeit der Zehntscheuer. Es sind handgestrichene Biberschwanzziegel. Ehedem ziehen die Ziegler mit ihren bloßen Fingern die Wasserrillen in den Lehm der noch nicht gebrannten Ziegel. Über die Rinnen soll das Wasser abfließen. Erst in den 1880er Jahren nimmt die industrielle Massenfertigung von Dachziegeln Fahrt auf. Unter den rund 9 000 originalen Dachplatten tummeln sich einige Zierziegel, auch bekannt als Feierabendziegel.
Von 9 000 historischen Biberschwanzziegeln bleiben 7 000 übrig.
Vielleicht ein Abwehrzauber?
Auf einem ist eine kleine, feine Rose in den noch nicht getrockneten Lehm eines Ziegels eingedrückt worden. Strahlenmotive werden mitunter als Hexenbesen gedeutet. „Es könnte sich um einen Abwehrzauber handeln”, vermutet Ortshistoriker Roland Fakler. Ab dem 16. Jahrhundert blüht der auf die Römer zurückgehende Brauch, Ziegel mit grafischen Elementen zu verzieren, wieder auf. Nach vollendetem Tageswerk, mit bis zu 1 000 gestrichenen Ziegeln, verewigt sich so mancher Ziegler noch über eine Art Graffiti auf einem der hergestellten Stücke. Zumeist wohl aus purer Lust am Gestalten heraus.
Doch wo stammen die Biberschwanzplatten her?
In einer Beschreibung des Herrenberger Oberamts aus dem Jahre 1855 werden in Reusten neben drei Lehmgruben auch zwei bestehende Ziegeleien erwähnt. Es liegt nahe, dass die Ziegel vor Ort gefertigt wurden. Um sicherzugehen, müsste man Proben aus den ehemaligen Gruben mit dem Material der Ziegel abgleichen. So ein Schatz auf dem Dach lässt nicht nur das Herz von Bauhistorikern höher schalgen. Bereitet jedoch die eine oder andere schlaflose Nacht. Was tun? Ab in den Bauschuttcontainer oder erhalten? Die Verantwortlichen des Fördervereins entschieden sich fürs Draufpacken. Allerdings nur auf der nördlichen Vorderseite. Auf die Südseite wandern ausschließlich nagelneue, maschinell produzierte Dachplatten. „Jeder der alten Ziegel, die jetzt wieder auf dem Dach sind, ist zehnmal durch die Hände einer Person gegangen”, merkt Martin Held an. Kein Wunder, müssen die Kleinode doch Stück um Stück abgenommen, auf Zustand geprüft, zwischengelagert, erneut hochgeschafft werden. 7 000 der historischen Stücke hievt man nach oben, 2 000 werden aussortiert.
Reusten gehörte zu Bebenhausen
Mit der Zehntscheuer geht man auf Zeitreise. Die führt mitten hinein ins 16. Jahrhundert. Das Kloster Bebenhausen, ehemaliger Herr des Dorfes, wird im Zuge der Reformation aufgelöst. Längst sind die Herzöge von Württemberg die neuen Herren, denen die Bewohner des Dorfes den Zehnten abzutreten haben. Eine Naturaliensteuer, für die etwa Getreide, Wein, Feldfrüchte oder Öl herhalten. Nun kommt die Zehntscheuer als Lager mit ins Spiel. Jetzt steht fest, dass das 30 Meter lange, bis zu 15 Meter hohe, 300 Quatratmeter goße Gebäude in einem Aufwasch mit der herrschaftlichen Weinkelter hochgezogen wurde. Die Untersuchungen ergaben, dass die Bäume für das Dachgebälk der Scheuer im Winter 1573 gefällt wurden. “Bis zum Verbau lagerte das Holz dann in der Regel noch ein Jahr”, weiß der Vorsitzende des Fördervereins, Jürgen Parchem.
Die 1575 erbaute Kelter wird 1760 zur Kirche umfunktioniert. Der emsig betriebene Weinanbau liegt seit Anfang des 19. Jahrhunderts am Boden. Warum ist die Zehntscheuer nun eigentlich so riesig ausgefallen? „Der Zehnte war eine progressive Steuer. Bei guten, ertragreichen Äckern mussten die Bauern bis zu 20 Prozent ihrer Ernte abliefern. Und Reusten hat fruchtbare Böden”, weiß Parchem. Während so einer Erntezeit hielt eigens angeheuertes Wachpersonal an der Mauer des Zehnthofes die Stellung. Plünderungen durch notleidende Menschen soll ein Riegel vorgeschoben werden.
Signalfarbe für öffentliche Gebäude
Nebenbei ist die „beige” Optik der Scheuer alles andere als dem Zufall geschuldet. Das ist der Originalfarbton. Im 16. Jahrhundert waren die meisten Leute noch Analphabeten. Daher wurden öffentliche Gebäude mit ganz bestimmten Signalfarben markiert”, sagt der Vorsitzende.
Vandalismus am Thingplatz
Bericht im Tagblatt am 26.08.2015
Der Schatz auf dem Dach
Zeitungsbericht im Schwäbischen Tagblatt Tübingen von Uschi Hahn
Der Umbau der Zehntscheuer Reusten zu einem Bürgertreff und Kulturscheuer hat begonnen.
Der Schatz auf dem Dach
Die Reustener Zehntscheuer ist mit handgestrichenen wohl 450 Jahre alten Ziegeln gedeckt.
Die Sanierung alter Gemäuer birgt meistens Überraschungen. Aber damit hätte wirklich niemand gerechnet: Auf dem Dach der Zehntscheuer in Reusten liegen jahrhundertealte Ziegel. Der Förderverein will sie auf alle Fälle erhalten. Die Frage ist nur, wo.
USCHI HAHN
Reusten. „Erbaut im 18. Jahrhundert“, steht auf der Zehntscheuer in Reusten. Doch das hat Roland Fakler „noch nie geglaubt“. Der Ortshistoriker war „schon immer der Ansicht“, dass das ortsprägende Gebäude an der Stirnseite des Zehnthofs aus der selben Zeit stammt wie die quer davorstehende Kelter, die nachweislich 1575 gebaut wurde. Und er hat wohl recht, wie sich jetzt herausstellte.
Die Kelter dient seit über 250 Jahren als Kirche. Die Zehntscheuer diente seit 1852, als die Zehntabgabe in Württemberg aufgehoben wurde, ganz unterschiedlichen Zwecken. Nun soll sie zur Kulturscheuer umgebaut werden.
Ein Kreis von Ehrenamtlichen begann zwar schon im Jahr 2007 mit der Aufwertung des davor lange vernachlässigten Gebäudes. Zunächst wurde der Zehnthof gepflastert. Dann renovierten die Freiwilligen Putz, Boden und Tore des Mittelteils der imponierend großen, aus Feldsteinen, mit Ecksteinen aus riesigen Sandstein-Quadern errichteten Scheune. Jetzt ist dort ein schmucker Veranstaltungsraum entstanden.
Doch dann stockte der Umbau. Denn das Dach des denkmalgeschützten Gebäudes war undicht. Mindestens 200 000 Euro würde die Dachsanierung kosten, das war klar. Aber die klamme Gemeinde Ammerbuch wollte das Geld dafür nicht aufwenden. Erst als sich ein Förderverein für die Zehntscheuer gegründet hatte und ein Nutzungskonzept vorlag, bewilligte der Gemeinderat im vergangenen Jahr die nötigen Mittel.
Für Bauhistoriker ist das Dachgebälk der Zehntscheuer in Reusten eine Sensation. Zimmerleute nehmen jetzt die historischen Ziegel – hier auf der Südseite des Daches – ab.
Zuvor schaute sich der im benachbarten Oberndorf lebende Bauhistoriker Tilmann Marstaller die Zehntscheuer an. Er sei keineswegs im Auftrag des Denkmalamtes dort gewesen, sagt Marstaller. „Einfach nur so aus Interesse habe er sich das Dach von innen und außen näher betrachtet. Seither ist der Fachmann ziemlich aus dem Häuschen. Das mit der Erbauung im 18. Jahrhundert „kann man vergessen”, sagt Marstaller. Der Dachaufbau verweise eindeutig aufs 16. Jahrhundert. Doch nicht nur das Alter, das Marstaller jetzt auch noch mit einer dendrochronologischen Untersuchung beweisen will, machte ihn Staunen. “Die Konstruktion und der Erhaltungszustand” seien so außergewöhnlich, „dass einem der Mund offen bleibt“. Der Bauhistoriker ist überzeugt, dass sich nach der wissenschaftlichen Datierung der Holzbalken im Scheunendach herausstellt, „dass es sich hier um eine der tollsten Zehntscheuern in der Gegend handelt”. Das Gebäude sei von seiner bauhistoriehen Bedeutung vergleichbar mit dem Schwedenhaus in Altingen, sagt Marstaller. „Das ist die gleiche Kragenweite.“
Vor allem auf der Rückseite der Zehntscheuer bestehe die Deckung noch „zu vier Fünfteln” aus den historischen Ziegeln; handgestrichene Biberschwanzziegel – ein paar davon sogar mit Ornamenten verziert. Feierabendziegel ist der Fachbegriff dafür.
Weshalb die Arbeiter in den Ziegeleien zu früheren Zeiten bei manchen Ziegeln nicht nur mit den Fingern Ablaufrinnen fürs Regenwasser gestrichen haben, sondern die Mühe auf sich nahmen, den noch ungebrannten Lehm auch noch mit Mustern oder auch Sprüchen zu verzieren, weiß niemand so genau. Möglich, dass sie damit am Ende ihres Arbeitstages, am Feierabend also, dokumentieren wollten, wie viele Ziegel sie geschafft haben.
Jedenfalls sind diese besonderen Ziegel sehr begehrt. „Es gibt auch Feierabendziegel-Jäger“, sagt der Zimmermann Martin Held. Er steht mit seinen Mitarbeitern seit dieser Woche auf dem Gerüst und deckt das Dach ab. Die moderneren Ziegel, mit denen vor allem die Dach Vorderseite immer wieder ausgebessert wurde, wandern In den Bauschuttcontainer. Die handgestrichenen Exemplare aber stapeln die Zimmerleute vorsichtig auf dem Dachboden der Scheune.
Besonders angetan haben es dabei dem Fachmann die Dachziegel. Viele stammen seiner Ansicht nach nämlich noch aus der Bauzeit der Zehntscheuer, sind also 500 Jahre alt.
Nicht alle Balken sind noch so gut erhalten, dass sie auch die nächsten Jahrhunderte gut überstehen würden.
Vergangene Woche endlich wurde die Zehntscheuer eingerüstet. Zuvor allerdings schaute sich der dem Fachmann dabei die Dachziegel an.
Held ist selbst Mitglied im Fördervereinsvorstand, ebenso wie der Ortshistoriker Roland Fakler. Auch der Architekt des Umbaus Martin Gesk ist im Förderverein. Nach einer informellen Besprechung mit Tilmann Marstaller und der Restauratorin Julia Feldtkeller vor knapp zwei Wochen waren sie sich einig, dass sie ihren ursprünglichen Plan über den Haufen werfen müssen, das Dach komplett mit neuen Ziegeln einzudecken. Die handgestrichenen Bierschwänze sollen wieder aufs Zehntscheuerdach. Schließlich, so der Vereinsschriftführer Roland Fakler, „handelt es sich um einen einmaligen historischen Schatz, der erhalten werden muss”. Noch nicht ganz klar ist bisher, wo der Ziegelschatz das Zehntscheuerdach schmücken soll.
Einer der Feierabendziegel, die wohl seit dem 16. Jahrhundert auf dem Zehntscheuerdach in Reusten liegen.
Gut zu erkennen; die Ornamente und die von Hand gestrichenen Ablaufrinnen.
Manche im Ort halten die alten Lehmziegel mit ihrer 500 Jahre alten Patina für alles andere als eine Zierde und wollen sie nicht auf der weithin sichtbaren Vorderseite des Daches sehen. So hat sich der Ortsvorsteher Herbert Grab vehement gegen den „Flickenteppich“ ausgesprochen. Man hat sich schließlich auf einen Kompromiss geeinigt: Dort, wo die meisten alten Ziegel die Jahrhunderte überdauert haben, auf der Rückseite der Zehntscheuer also, sollen sie auch wieder drauf, ergänzt um jene, die auf der dem Wetter zugewandten Nordseite Hagel, Wind und Wetter getrotzt haben.
Entscheiden muss das alles sowieso das Denkmalamt. Für den 23. September ist ein Termin mit der zuständigen Behördenvertreterin angesetzt. Die Arbeiten am Dach der historischen Zehntscheuer in Reusten gehen derweil weiter. „Wir bereiten das Dach und die Lattung so vor, dass die alten Ziegel auf beiden Seiten drauf können“, sagt Martin Held.
Rings um den Zehnthof an der Durchgangsstraße in Reusten gruppieren sich die 1575 als Weinkelter erbaute und 1760 geweihte Kelterkirche, die wohl ebenfalls im 16. Jahrhundert errichtete Zehntscheuer und das Backhaus von 1855.
Der Ortshistoriker Roland Fakler nimmt an, dass ursprünglich auch das stattliche Haus direkt neben der Zehntscheuer zu dem Komplex gehört hat – als Verwaltungshaus. Der hier abgelieferte zehnte Teil der Ernte gehörte dem Dorfherren. Der war seit 1293 das Kloster Bebenhausen, nach der Reformation die Herrschaft Württemberg.
Nach Abschaffung der Zehntabgabe 1852 diente die Zehntscheuer ganz unterschiedlichen Zwecken. So wurde sie von 1927 bis 1965 als Turnhallenersatz genutzt, danach als Schafstall, Salzlager und auch als Stall für den Dorfbullen (Farren). Ein Teil der Scheune war bis 2010 bewohnt.
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Leserbrief im Tagblatt am 28.11. 2014
Die Ammerbucher Gemeinschaftsschule soll wesentlich teurer werden als geplant. Wir wussten es schon immer. Böte sich jetzt, wo neu kalkuliert werden muss, nicht die Chance, aus der Not eine Tugend zu machen, die Reustener Schule in das Altinger Schulkonzept einzubinden und dabei ein paar Millionen zu sparen? Ich kann mir schlecht vorstellen, dass die Schüler, die die nächsten Jahre zwangsläufig in Reusten zur Schule gehen müssen, für immer traumatisiert sind, weil sie nicht streng nach dem Altinger Konzept unterrichtet werden können. Reisen bildet, ein „Auslandsaufenthalt“ kann nur den Horizont erweitern und wohldosierte Stressfaktoren stärken die Persönlichkeit. Ob das auf Dauer nicht das viel bessere Konzept wäre?
(Kursiv: spätere Ergänzung)