Ortsportrait Reusten
Ortsportrait Ammerbuch – Reusten von Roland Fakler
Reusten, der mit 960 Einwohnern zweitkleinste Ammerbuchort, liegt in idyllischer Lage zwischen Poltringen und Altingen, am Zusammenfluss von Ammer und Kochhart. Durch das enge Ammertal zwischen Kirchberg und Wolfsberg führt die Landstraße 359. Kommt man auf dieser Landstraße, die in Reusten Jesingerstraße heißt, von Tübingen her, fallen sogleich die ockergelben Kalksteinwände am Ortseingang ins Auge. Bis in die 1960er Jahre wurde in Reusten in verschiedenen Steinbrüchen Kalkstein gebrochen. Der Abbau war durch die Aufwölbung des „Reustener Sattels“ hier besonders günstig.
In der Jesingerstraße liegt auch das 1822 erbaute Pfarrhaus und ein Stück weiter, an der Abzweigung nach Rottenburg, treffen wir „mitten im Flecken“ auf die 1760 umgewandelte „Kelterkirche“. Dies war ursprünglich eine Kelter. 1575 wurde sie vom Kloster Bebenhausen erbaut, dem Reusten von 1293 bis zur Auflösung des Klosteramtes 1808 gehörte.
Ganz in der Nähe steht das 1855 erbaute Backhaus, das immer noch in Betrieb ist. Auch das 1793 erbaute Rathaus (365m über dem Meer) befindet sich ganz in der Nähe, über der Straße, an der Einmündung zur Sommergasse. Eine Wintergasse, die ihrem Namen alle Ehre macht, liegt im Schatten des Kirchberges.
Kirche, Backhaus und Zehntscheuer, erbaut 1575, umschließen den Zehnthof, der bald zum zentralen Veranstaltungsplatz wird. Im September 2018 soll die neu renovierte Zehntscheuer als Bürger- und Kulturscheuer eingeweiht werden.
Als das Siedlungsgebiet im Tal zu eng wurde, entstanden nach dem Krieg die „Wolfsbergsiedlung“ auf dem Berg und ein weiteres Wohngebiet, die „Breite“, rechts an der Straße nach Altingen.
Auf dem Wolfsberg wurde 1966 die Wolfsbergschule, eine Grundschule und eine Förderschule im gleichen Gebäude, erbaut. Zu erreichen ist die Wolfsbergsiedlung vor allem über die 1991 neu ausgebaute Schulsteige. Dafür musste das 1792 erbaute alte Schulgebäude weichen.
Ein Kindergarten schmiegt sich an den Fuß des gegenüberliegenden Kirchberges.
Im Dorf gibt es zwei Lebensmittelgeschäfte, einen Bioladen und eine Metzgerei und drei Gaststätten: den Löwen im alten Dorfkern; das Bergcafe und das Berghaus: beide sind auf dem Kirchberg.
Reusten wurde von den Alemannen etwa im 6. Jahrhundert gegründet. Der Name lässt sich vermutlich von dem alemannischen Vornamen: „Rusto“ ableiten. Bei Grabungen wurden auf dem Kirchberg jungsteinzeitliche Siedlungen entdeckt. Die ältesten Funde lassen sich bis 4500 v. Chr. zurückdatieren. Reste einer mittelalterlichen Burg (Kräheneck) geben bis heute Rätsel über ihre Bewohner auf. Auf dem Kirchberg wurde von Bebenhauser Mönchen um 1300 die Heiligkreuzkirche erbaut, die bis 1759 dort oben stand.
Erwähnt werden muss noch eine alte Römerstraße, die einst nördlich der Wolfsbergsiedlung verlief und die später „Königsstaße“ genannt wurde. An ihr befand sich im Mittelalter ein alter germanischer Gerichtsplatz. Eine Schenkung, zurzeit Kaiser Lothars, die auf diesem Gerichtsplatz besiegelt wurde, war Anlass für die erste urkundliche Erwähnung von „Rusten“ im Schenkungsbuch des Klosters Reichenbach; niedergeschrieben zwischen 1138 und 1152. Königsstraße und Gerichtsplatz haben Eingang in das 1954 entstandene Wappen gefunden. Es galt bis 1971.
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Von der Zehntscheuer zum Bürgertreff
Eine kurze Geschichte von Zehntsteuer und Zehntscheuer
Die Zehntabgabe ist eine uralte Steuer, die entweder in Form von Geld oder häufiger von Naturalien an geistliche oder weltliche Herren geleistet wurde. Diese Steuer gab es schon vor über 3000 Jahren in verschiedenen Kulturen. Man findet sie im Alten Testament, in Ägypten und in Babylon. Sie wurde im 8. Jahrhundert im „Christlichen Abendland“ eingeführt und konnte zwischen 10 und 30 Prozent betragen.
In der Zehntscheuer wurde die Zehntsteuer, die meist aus Feldfrüchten bestand, vor allem aus Getreide, Wein, Öl… gesammelt und schließlich an den Dorfherren abgeliefert. Der Dorfherr von Reusten war seit 1293 das Kloster Bebenhausen, bzw. der Abt des Klosters.
Die Dorfherren übten die Gerichtsbarkeit im Dorf aus, bezogen die Strafgelder, setzten den Schultheißen und alle anderen Dorfämter ein. Sie verfügten über die Leibeigenen, bezogen die Steuern und Abgaben, also auch die Zehntsteuer, und konnten Fronen, d.h. unbezahlte Arbeiten, verlangen. Die Lage der Bauern im Mittelalter war drückend, weshalb es auch immer wieder zu Aufständen kam.
Die Kirche wurde 1575 als Weinkelter erbaut und 1760 zur Kirche umgebaut. Auch die heutige Zehntscheuer wurde auf das Baujahr 1575 datiert. Das Backhaus kam erst im Jahr 1855 dazu.
Nach der Reformation kam das Kloster Bebenhausen in den Besitz der Herzöge von Württemberg, die es 1534 auflösten. Der Klosterbesitz wurde von einem Klosteramt in Lustnau verwaltet. Zuständig für Reusten war die Klosterpflege = Verwaltungsstelle auf Schloss Roseck. Dorthin wurde auch die Zehntabgabe aus Reusten geliefert.
1852 wurde die Zehntsteuer aufgehoben. Die Zehntscheuer wurde überflüssig und diente dann anderen Zwecken. Von 1927 bis 1965 diente die Zehntscheuer als „Turnscheuer“, dann als Schafstall, als Salzlager, als Farren- (Bullen) stall und schließlich als Notunterkunft für eine Familie.
Die Zehntscheuer, die Kelterkirche, und das Backhaus, die den Zehnthof umschließen, bilden heute eine einmalige Kulisse für Veranstaltungen jeder Art.
Seit einigen Jahren wird sie von ehrenamtlichen Helfern, mit Gemeindegeldern und staatlicher Förderung, ELR = Entwicklung ländlicher Raum, zu einem Bürger- und Kulturtreff ausgebaut. Die Arbeiten gehen planmäßig voran. Einweihung ist am 29. September 2018.
Ammerbuch Aktuell 2018 Seite 23 _ W 21 24.05.2018
Herzogliches Wirtschaftszentrum Reusten
1575 wurden in Reusten die Kelter – seit 1760 Kirche – und die danebenstehende Zehntscheuer erbaut. Die Reustener Zehntscheuer gehört zu den größten der Umgebung und ist viel komplexer und fortschrittlicher als die üblichen Scheuern, wie Bauhistoriker Tilmann Marstaller festgestellt hat. Mit solchen Bauten sollte auch der Herrschaftsanspruch des Grundherren demonstriert werden. Von Vorgängerbauten ist uns leider nichts überliefert.
1534 hatte Herzog Ulrich die Reformation in Württemberg eingeführt und die geistlichen Besitztümer, also auch das Kloster Bebenhausen mit Reusten, verstaatlicht, so dass nun Kelter, Zehntscheuer und wohl auch die Innere Mühle in herzoglich, württembergischen Besitz kamen. Erbauer dürfte der damals erst 20-jährige Herzog „Ludwig der Fromme“, 1568 – 1593, von Württemberg, beziehungsweise seine Regierung gewesen sein.
Das Gebäude besteht aus drei etwa gleich großen Teilen, die wir neu benannt haben: Schafstall – Tenne – Farrenstall. Die Decke zum Speicher wurde erst später eingezogen. Man konnte also einst in den mittleren zentralen „Beschickungsraum“ durch ein hohes Tor einfahren und die Garben weit nach oben stapeln.
Überhaupt wurde an dem Gebäude, das ja seit 1852 anderen Zwecken dient, viel umgebaut. Auf der Vorderseite des Daches befinden sich aber immer noch die ursprünglichen Dachziegel, die unbedingt erhalten werden sollten. Für die Rückseite hat es nicht mehr gereicht. Dort wurden neue Ziegel aufgelegt.
Das Gebäude besteht aus einem unteren, aufwendig gemauerten Teil, und einer ebenso aufwendigen Konstruktion aus schweren Holzbalken, die bis zu 12 Meter lang sind. Die senkrechten massiven Ständer sind Eichenhölzer aus dem Schönbuch, die waagrechten, längeren Balken Nadelhölzer aus dem Schwarzwald. Sie mussten mit Floßen auf dem Necker und schließlich auf dem Landweg mit Fuhrwerken von Tübingen durchs Ammertal nach Reusten geschafft werden. Vermutlich wurde die Bevölkerung dafür eingespannt.
Beim Flößen band man bis zu 22 Stämme zu einem sogenannten „Gestör“ zusammen. Ein Floß hatte bis zu 22 Gestöre und konnte 266 Meter lang sein. Dass die Balken mit Floßen hierher kamen, erkennt man an Bohrlöchern. Sie dienten wie Ösen zum Zusammenbinden der Floße (Floßaugen). Vermutlich wurden sie schon im Schwarzwald rechteckig bearbeitet.
In der Nachbarschaft, an der Ammer, gab es schon sehr lange die „Innere Mühle“, bis 1956 – heute Familie Haupt – die auch die „Klostermühle“ genannt wurde. Vermutlich gehörte auch noch das benachbarte „Bühlerhaus“ als Verwaltungsgebäude zur Zehntscheuer. Wir haben also um 1575 mit der Zehntscheuer, der Kelter und der Mühle ein herzogliches „Wirtschaftszentrum“ mitten im Flecken.
Ammerbuch Aktuell 2018 W22