Rezension – U. Lehnert
Rezension zu Prof. Uwe Lehnerts Buch „Warum ich kein Christ sein will“
Von Roland Fakler
Aufmerksam wurde ich auf Uwe Lehnert schon vor Jahren, wegen seiner klaren und überzeugenden Facebook-Kommentare in humanistischen Foren. Er wollte mit Argumenten und gesundem Menschenverstand überzeugen, nicht Recht haben, um jeden Preis. Hier war ein Philosoph am Werk, der mit viel Wissen und Lebenserfahrung grundlegende Themen aus Philosophie, Religion und Wissenschaft leicht verständlich erklären konnte, einer der sich seine Sätze gut überlegt hatte, Sätze, die auch im schnellen Fluss des Internets nicht untergingen. Sätze, die er dann in einem Buch zusammengefasst hat, das wohl als Vermächtnis gedacht, lange Bestand haben wird. Es lohnt sich dieses Buch oder Teile davon, nicht nur einmal, sondern öfter zu lesen. Es ist ein Manifest für eine naturalistisch–humanistische Weltsicht.
Es ist keine Eingebung des „Heiligen Geistes“, sondern ein wohlüberlegtes, in seiner 7. Auflage überarbeitetes Ergebnis, vernünftigen Denkens und Forschens. Es beschreibt einen Weg, der auf weiten Strecken auch mein Weg war, den Weg vom christlich geprägten zum selbstdenkenden, säkularen Humanisten, der mit beiden Beinen in dieser Welt steht und seine Hoffnungen nicht, durch illusorische Versprechungen geleitet, in ein zweifelhaftes Jenseits verlegen will.
Das Buch nimmt sich im ersten Drittel sehr viel Raum, das aktuelle Weltbild als Forschungsergebnis der modernen Naturwissenschaften zu erklären. Daraus könnte der Autor ein extra Buch machen. Man merkt, in diesem Fachbereich ist Uwe Lehnert zuhause. Er ist leidenschaftlicher Naturwissenschaftler, Ingenieur, Informatiker, Erziehungswissenschaftler, aber auch sehr vielseitig gebildet. Dieser Teil mit den weltbildprägenden Disziplinen Kosmologie, Quantenphysik, Evolutionstheorie und Hirnforschung stellt bereits eine Auseinandersetzung dar mit den überkommenen Auffassungen des Christentums und der Religionen ganz allgemein.
Der Titel „Warum ich kein Christ sein will“ schockiert zunächst so manchen Leser, aber Uwe Lehnert begründet sehr ausführlich diesen provozierenden Buchtitel, vor allem im zweiten Drittel des Buches, wo er die Willensfreiheit bestreitet und mit der Theodizee-frage voll ins Thema einsteigt.
Im letzten Drittel, gleichsam als krönendem Abschluss, widmet er sich dann dem neuen Weltbild des säkularen Humanismus.
Wir wuchsen beide mit dem Christentum auf, das heute noch allgegenwärtig ist. Außer mir wagten nur wenige meiner Klassenkameraden es zu kritisieren. Ähnlich ging es dem Autor dieses Buches. Jedes Kind ist erst einmal den Wertvorstellungen und dem Weltbild seiner Erzieher ausgeliefert. Dieses Weltbild dürfte für die meisten bis ans Ende ihrer Tage mehr oder weniger prägend sein … wenn sie nicht anfangen, zu prüfen und zu hinterfragen.
„Religion ist gut, Christentum ist gut“, dachten wir, denn so wurde es uns von unseren Lehrern, Pfarrern, Politikern und allen Medien präsentiert, nur einige Ketzer und Spötter konnten das anders sehen. Schließlich waren der Staat und die Kirche und all die guten und lieben Menschen, die uns erzogen, „christlich“ und bekannten sich zum zentralen Inhalt christlichen Glaubens, zum „Gottessohn“, der angeblich vor 2000 Jahren im Orient von einer Jungfrau geboren, freiwillig für uns elend am Kreuz gestorben war, um uns von einer „Erbschuld“ zu erlösen, die ein mythologisches Paar namens Adam und Eva durch ihren Ungehorsam gegen Gott der ganzen Menschheit aufgebürdet hatten. Adam war von Gott aus einem Lehmklumpen geschaffen worden, Eva aus der Rippe Adams, weshalb sie natürlich auch nicht gleichwertig sein konnte. Sie wollten nach Erkenntnis streben, was von Gott verboten war. Die ganze Geschichte hatte mit der Himmelfahrt Jesu aber doch noch ein Happy End.
Das alles fand ich schon sehr früh bedenklich und ich fragte mich: Sind solche tröstlichen Märchen mit Drohbotschaften verknüpft hilfreich, das Schicksal zu meistern, das ständig Menschen jeder Weltanschauung gleichermaßen aus heiterem Himmel trifft? Ein naturalistischer Denker würde sagen: Das kann man glauben, das kann so aber in der Wirklichkeit nicht funktionieren. Kinder, die dazu erzogen wurden, ihrer Vernunft zu misstrauen und ihren Priestern zu glauben, mögen daran nichts Seltsames finden. Aber kann es ein erstrebenswertes Ziel einer Erziehung zum mündigen, demokratischen und wirklichkeitsorientierten Staatsbürger sein, Vernunft zu verdammen, Kindern ein völlig unwirkliches Weltbild zu vermitteln und Blindgläubigkeit zu fördern? Für einen, der darüber nachdachte und der mehr darüber wusste, wie diese Geschichten aus viel älteren ägyptischen, babylonischen, jüdischen und griechischen Mythen entstanden sind, war das schwer verdauliche Kost. Wer war daran interessiert, unmündige Gläubige zu erziehen? Doch nur Menschen, die herrschen wollten! So war denn diese Religion immer ein geeignetes Instrument, Herrschaft zu erlangen und mit Gottes Willen zu legitimieren.
Einem, dem die wahre, nicht nur die von der Kirche bereinigte, Geschichte des Christentums vertraut war, mussten Zweifel an seiner segensreichen Wirkung kommen. Wieviel Unheil hatten Christen in unzähligen Glaubenskriegen gegen einander und in Eroberungskriegen über andere Völker gebracht? Ihre Vorbilder fanden sie oft im Alten Testament, wo mit unglaublicher Grausamkeit und auf Gottes Befehl gegen andere Völker gewütet wird. Diesem schrecklichen und angeblich „heiligen“ Buch, mit seinen abstrusen Moralvorstellungen ist ein dickes Kapitel gewidmet, in dem der Leser gerade die Stellen findet, die heute in den Kirchen schamhaft verschwiegen werden, die aber lange Zeit als unverbrüchliches Wort Gottes Gültigkeit hatten und maßgeblich die christliche (Unheils-) Geschichte geprägt haben.
Auch Jesus selbst, den Christen immer als Prediger des Friedens und der Nächstenliebe sehen wollen, hat gemäß „der Heiligen Schrift“ allen mit dem ewigen Feuer gedroht, die nicht an ihn glauben wollten? Mit dieser Anmaßung und Intoleranz wurde mehr Unheil als Heil in die Welt gebracht. Wer nicht glauben wollte, musste vom Teufel besessen sein. Heiden und Falschgläubige galten als Untermenschen und mussten verfolgt und ausgerottet werden. Der Teufel war im Christentum allgegenwärtig. Schließlich hatte schon Jesus böse Geister ausgetrieben. Der Teufel musste mit Weihwasser, Gebeten und Opfern bekämpft werden. Noch heute werden in der katholischen Kirche Exorzisten ausgebildet, um böse Geister auszutreiben. Nicht-existierende Geister mit unwirksamen Gebeten zu vertreiben und die Gläubigen vor ewigen Höllenstrafen zu bewahren, wurde zur Hauptbeschäftigung der Gläubigen und zur besten Geschäftsidee aller Zeiten. Dafür wurden prächtige Kirchen und Klöster gebaut, die Gläubigen ausgebeutet und in Unmündigkeit gehalten. Mit Bibelstellen konnte belegt werden, dass diese hierarchische, undemokratische und ungerechte Ordnung gottgewollt sei.
Einer, der naturwissenschaftlich gebildet ist, musste erkennen, dass diese Religion, wie das bei allen alten Religionen mit beschränktem Naturwissen gar nicht anders sein kann, seinen Gläubigen ein völlig falsches, d.h. unrealistisches Weltbild vermittelt. Aus einem falschen Weltbild entsteht auch falsches, d.h. verhängnisvolles Handeln. Weil man von der Freiheit des Willens ausging, galt jeder Mensch, selbst Kinder, als voll verantwortlich und schuldfähig. Weil man Körper und Seele als zwei voneinander getrennte Wesenheiten betrachtete, wurde der vergängliche Körper abgewertet und alles für die Rettung der angeblich unsterblichen Seele getan. Nicht das Glück im Diesseits sollte erstrebenswert sein, sondern die Rettung der Seele für die Ewigkeit, nach Regeln, die die Kirche bestimmte. Danach sollte nicht der „gute Mensch“ ins Himmelreich eingehen, sondern der mit dem „richtigen“, katholischen Glauben, also Hitler und nicht die ungläubige Humanistin und Pazifistin Berta von Suttner. Priester und Kirche gewannen mit haltlosen Versprechen enorme Macht und maßlosen Reichtum. Jeder humane Fortschritt des Strafgesetzbuches musste von Aufklärern gegen diese Kirche erkämpft werden. Letztlich muss ein vernünftiger Mensch bei all dem Wissen, das dieses Buch vermittelt, zum selben Schluss kommen wie der Autor. Auch um eine neue, noch intolerantere und autoritärere Religion abwehren zu können, brauchen wir die Werte der Aufklärung, das klare Bekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten, die nicht im Christentum zu finden sind.
Uwe Lehnert ist ein höflicher Mann, der viel Verständnis zeigt für Menschen, die trotz aller Kritik an diesem Glauben festhalten wollen. Aber wir sind beide davon überzeugt, dass eine Welt, die auf vernünftigen, humanistischen Werten aufbaut und sich an naturwissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert, eine bessere und gerechtere Welt sein wird. Welches Denken, welche Werte zu dieser besseren Welt führen könnten, davon handelt ein umfangreiches Kapitel im dritten Teil des Buches. Darin geht es u.a. um den Sinn des Lebens, wenn man nicht an ein Paradies als Belohnung glaubt, wie ein naturalistisch-humanistisches Weltbild aussehen könnte oder um das Recht auf Selbstbestimmung, zum Beispiel am Ende des Lebens.
Das Buch ist jedem zu empfehlen, der weltanschauliche Orientierung sucht. Es ersetzt viele kirchen- und religionskritische Bücher, weil es über den ganzen Themenkomplex umfassend und gut verständlich informiert.